Grundsatzerklärung Bremer Bürgerinitiativen zur Stadtentwicklung in Bremen, Rückblicke, Analysen, Positionen
Bremen, den 02.11.2021
In Bremen reden Bürger und Bürgerinitiativen
bei der Entwicklung ihrer Stadt gerne mit. Das hat eine lange Tradition. Einige Beispiele:
• 1865 versammelten sich wohlhabende Bürger in einer der
ersten Bürgerinitiativen, dem „Comité
zur Bewaldung der Bürgerweide“, um eine vorher ländlich bewirtschaftete Fläche in einen Park umzunutzen. Aus diesem Engagement entstand der Bürgerpark, heute eine der schönsten und
bedeutendsten Bremer Parkanlagen,
die niemand mehr missen möchte.
• In den 1950er Jahren setzten sich engagierte Bürger gegen
den von Richard Boljahn geplanten
Abriss des Schnoor-Viertels und den Bau eines Hochhauses erfolgreich
zur Wehr. Heute ist der Schnoor ein beliebter historischer Ort, für
Touristen wie für Stadtbewohner.
• Anfang der 1970er Jahre wurde ein gigantisches Projekt,
das den Abriss des beliebten
Ostertor-Viertels im Zuge der „autogerechten Stadt“ vorsah, nach Bürgerprotesten gestoppt. Heute ist
das „Viertel“ ein beliebter Bremer Wohnort.
Bürgerlichen Engagements und Protesten wie
diesen hat Bremen es zu verdanken, dass stadtplanerische Fehler nicht begangen wurden und bremische Identität geschaffen oder erhalten blieb.
Nach wie vor wollen engagierte Bürger und Bürgerinitiativen an vielen Orten Bremens bei der Entwicklung ihres Lebensraumes heute mitreden, in ihrer Straße, ihrem Stadtteil, ihrer
Stadt. Die Themen sind dabei vielfältig: Es geht etwa um den Umgang mit Verkehr,
die
Bedeutung und den Erhalt der Natur in der
Stadt, die Frage, wie ein Ort genutzt werden sollte und die Überlegung, ob und wie an einem Ort gebaut werden soll.
Aber bei der Politik finden die Bürger
mit ihren Engagements in Bremen heute
kaum noch Gehör, auch dann nicht, wenn
sie Tausende von Unterschriften für oder gegen eine
stadtplanerische Idee vorlegen und gut begründete Argumente vortragen. Es macht sich das Gefühl breit: Man dringt nicht mehr
durch.
Dabei sind Fachleute sich einig, dass Veränderungen und Entwicklungen heute nicht mehr
von oben herab nach
Gutsherren- oder Gutsdamenart geschehen dürfen:
"Stadtplanung war vielleicht bis vor wenigen
Jahren noch so ein Nischenthema. Aber heute ist der Umgang mit Verkehr, die Höhe von Gebäuden oder die
Quote für bezahlbare Wohnungen, das sind so richtig virulente Themen in der
Stadtentwicklung und die gehen uns alle
was an und da sagen auch alle was dazu. Und da geht es nicht
darum, das ist der richtige oder der falsche Weg, sondern, wir müssen eigentlich
da hinkommen, dass wir
Veränderungen aushandeln müssen.“
(Prof. Klaus Overmeyer am 4.7.2021 im Deutschlandfunk, Sendung Kulturfragen).
„Mein Eindruck ist, dass wir den Zeitpunkt
schon fast verpasst haben, angesichts der Erosionsprozesse des klassischen, politischen Vermittlungssystems zeitgemäße Alternativen zu entwickeln. Alternativen, die offen sind für
individuelle Beteiligungsformen, die
in
Rechnung stellen, dass wesentliche Sachthemen
immer wieder neu mit den Bürger/innen verhandelt werden müssen und nicht vorab von Experten oder Gremien festgelegt werden können. Eingriffe in die Alltagswelt der Bürgerinnen und Bürger
lassen sich nicht mehr
einfach verordnen oder durch Gesetz befehlen.
Wir müssen Abschied nehmen von der Basta-Politik, die immer noch die politische Kultur beherrscht.
Es ist eine produktive Reform der
Mitwirkung angesagt. [...] Zunächst einmal: Bürgerbeteiligung fängt im
Kopf der Entscheider an. Diese müssen
zu der Einsicht gelangen, dass sich die
Herausforderungen in ihren jeweiligen Fach- und Verantwortungsbereichen besser beteiligungsorientiert
gestalten lassen. Sie müssen überzeugt
werden, dass Bürgerbeteiligung trotz aller damit verbundenen Herausforderungen ein produktiver Prozess ist, dass durch Beteiligung ein Nutzen entstehen kann, der allen
Beteiligten zugute kommt.
Das zentrale Argument für diesen Sinneswandel wäre: durch ein Mehr an Bürgerbeteiligung werden die zu treffenden Entscheidungen besser, auch besser
legitimiert und von der Bevölkerung
eher akzeptiert. Und nicht zuletzt machen Beteiligungsverfahren häufig Alternativen sichtbar, auf die man ohne Beteiligung nicht
gekommen wäre.“ (Prof. Dr. Roland Roth, Zeitschrift mitarbeiten 03/2012).
Stadtentwicklung ist heutzutage also kein Orchideenthema
(„Nischenthema“) für wenige, sondern
ein Demokratiethema für viele. Bei diesem Thema können Bürgerbeteiligung und Einflussnahme auf Entscheidungen gelebt werden, was
am Ende der Stadtgesellschaft
und der Stadt
zugutekommt. Dafür gibt es gute Beispiele in Deutschland, etwa die Entwicklung des Quartiers Halle-Freiimfelde, die von Politik, Behörde und Bürgern
gemeinsam umgesetzt wurde.
(Ausgezeichnet für „vorbildliche
Bürgerbeteiligung“ durch das
Bundesumweltministerium am 21.11.2018.)
Doch in Bremen läuft es zurzeit
anders.
Es regieren ein unregulierter,
investorengesteuerter Städtebau und das damit verbundene Konzept der quantitativen Innenverdichtung. Dazu wird von der bremischen Politik viel von bezahlbarem Wohnraum geredet, der unbedingt geschaffen
werden müsse – doch
geschaffen wird überwiegend hochpreisiger
Wohnraum, offenbar, weil man betuchte Steuerzahler und Kaufkraft im finanzschwachen Bremen ansiedeln möchte. (Johannes Edelhoff und Christian Salewski, Wohnungsnot:
Rettung durch Großinvestoren? ARD-Panorama-Beitrag vom 23.06.2016, wonach in Bremen nur jede 12.
neugebaute Wohnung bezahlbar
ist.)
Die amtierende Politik hält nach unseren
Erfahrungen jede Fläche für bebaubar – auch wenn diese an Erholungsgebieten wie dem Knoops Park oder dem
Werdersee liegen, oder einen Naturwald
an einem Kleingartengebiet darstellen. Alles erscheint bebaubar. Und kaum einmal wird diese
einseitige Politik gestoppt, wie etwa durch den gewonnenen
Volksentscheid, die Rennbahn nicht zu bebauen.
Städtische Orte haben ihre Nutzungsgeschichte.
Und so müsste eine Stadtentwicklung, die diesen Namen verdient, danach fragen:
• Welche Geschichte hat dieser Ort, welche Entwicklung hat er durchgemacht, was geschah
hier?
• Wie ist es jetzt, in welchem Zustand befindet er sich?
• In welche Richtungen können wir ihn
entwickeln?
• Was brauchen wir hier in 20, 30 oder 50
Jahren?
Aber diese wichtigen Fragen, die einen
wesentlichen Teil von Stadtentwicklung
ausmachen, werden nicht gestellt. Es
herrscht das ideologische Dogma der Innenverdichtung, das quasi als alternativlos dargestellt wird. Doch das ist gerade keine Stadtentwicklung.
Beispiel: Der Bahnhofsvorplatz war ein
öffentlicher Ort, der täglich von
Zehntausenden von Menschen genutzt
wurde. Diesen Ort vor dem schönen Bremer Bahnhofsgebäude, Bremens größtem Bau-Denkmal, hätte eine Bürgerinitiative gerne als
öffentlichen Platz genutzt, auf dem es
Bänke, Rasenflächen und einen Springbrunnen gibt. Doch zu einer Debatte über die Nutzung dieses Ortes kam es nicht, weil eine politische Mehrheit dort von Anfang an unbedingt Gebäude errichten
wollte. Einer der größten öffentlichen
Plätze Bremens bekam in Politiker-Kreisen den Namen „Investorengrundstück“.
Und als Bremens Bürgerschaftspräsident
Christian Weber am 24.02.2014 vielsagend den ehemaligen Senatsbaudirektor Eberhard Kulenkampff zitierte, „Ein Platz ist ein Platz“, verhallten diese Worte.
7000 Unterschriften, über 200 Leserbriefe, 2
Petitionen mit je über 800
Mitzeichnern blieben unbeachtet, sogar
dann noch, als Bremen sich die
Möglichkeit zum Rückkauf des Platzes bot. Eine Nutzungsdebatte entstand nicht.
Claudia Bernhard (Die Linke) warf am
25.02.2014 der rot-grünen Koalition in der Stadtbürgerschaft vor, insbesondere den Grünen, eine „Betonpolitik“, einen „totalen Verdichtungsfetischismus“ zu verfolgen und setzte sich für eine andere Wahrnehmung
des
Bahnhofsvorplatzes als „identitätsbildende Stätte“ ein. Doch der
baupolitische Sprecher der Grünen,
Carsten Werner, fragte nur mit viel
Hohn:
„Was schwebt Ihnen vor? Ich verstehe es
wirklich nicht. Sollen da Kleingärten angelegt werden, oder wünschen Sie sich da einen Wald –
oder Kaisenhäuser?“ (Plenarprotokoll der Stadtbürgerschaft vom 25.02.2014, Seiten 1770, 1771 und
1776)
Für solche indiskutablen und peinlichen Beiträge zur
Stadtentwicklung, die eine Nicht-Bereitschaft, sich über einen der größten Plätze Bremens
Gedanken zu machen, erkennen lassen,
aber auch eine Nicht-Verantwortlichkeit, kann man sich nur wundern. Der
Abgeordnete Werner müsste sich schämen, für
ihn kann man sich nur fremdschämen.
Was sagen Fachleute zum investorengesteuerten
Städtebau? Einer der bekanntesten, der Architekt Jan Gehl, der etwa
Städte wie Kopenhagen, Melbourne,
Barcelona, Christchurch (Neuseeland)
und den Times Square in New York weiterentwickelte, sagte in einem
Interview dieses:
„Frage: Es gibt aber auch Städte, die privaten
Investoren das Feld überlassen ...
Jan Gehl: Es ist extrem wichtig,
dass es eine starke Stadtverwaltung gibt, die
genau weiß, wo sie hinwill und privaten
Investoren klare Vorgaben macht, was geht und was nicht geht, wo Unterstützung erwünscht ist und in welchem Rahmen. Wenn wir Städte komplett dem freien Markt überlassen, würden sie sich ziemlich schnell in riesige
Shopping-Malls verwandeln.“ (fluter Nr. 56, Herbst 2015,
Thema Stadt, Magazin der Bundeszentrale für politische Bildung)
Und genau das ist am Bahnhofsplatz geschehen:
Der Platz wurde in einen mehrgeschossigen „Konsumtempel“ verwandelt, und erzeugt mit Bremens größter Bus- und
Straßenbahnhaltestelle eine drangvolle Enge.
Dabei ist der moderne Neubau bedenklich nahe in den Wirkungsraum des
denkmalgeschützten Bahnhofsgebäudes eingedrungen.
Bremens Ehrenbürger Klaus Hübotter nannte die
Entscheidung für den Neubau vor dem Bahnhof eine „städtebauliche Totalkatastrohe“, er habe nichts gegen die Architektur Max Dudlers. Hübotter weiter: „Aber dieses Gebäude gehört nicht vor den Bahnhof.
Der Platz darf
nicht bebaut werden. Der Bahnhof ist eines der
eindrucksvollsten Denkmäler Bremens und nun soll ein kolossaler Briefbeschwerer die Sicht auf ihn zerstören.“ (Weser Kurier, 20.09.2014, „Eine städtebauliche Totalkatastrophe“.)
Ein anderer Konsumtempel, das Vegesacker
Einkaufszentrum Haven Höövt, wurde ebenfalls gegen massiven Protest von Bürgern
und Geschäfteinhabern errichtet. 6000 Unterschriften Seite 4 von 7
legte eine Bürgerinitiative
Ende der 1990er Jahre gegen die Planungen vor, darunter 600 Unterschriften aus der Kaufmannschaft. Dazu präsentierte eine BI eigene Planungen, die an Deutschlands ältestem künstlich errichteten Hafen (um 1600
fertiggestellt) und der
Geschichte der Grönlandfahrer
(Walfänger) ein maritimes Fischerdörfchen mit Gewerbe und
Kultur direkt am Wasser
vorsahen.
Auch diese Entwicklung war ein Fehler. Am Ende
waren es zu wenig Kunden, die das Einkaufszentrum besuchten, die Vegesacker Fußgängerzone verzeichnete Leerstände. Das 2003 gebaute Einkaufszentrum wurde schließlich im Frühjahr
2021 abgerissen, was
zusammen mit seinem Bau einen gewaltigen
CO2-Fußabdruck bedeutet.
Nun soll dort Wohnungsbau errichtet werden.
Allerdings wird diese Planung erneut von einem Investor betrieben. Er bot
Bremen dort eine hochverdichtete Wohnbebauung an, zusammen mit einem Polizeirevier, das Bremen zu einem günstigen Preis dort betreiben
kann, Bremen stimmte zu. Doch mit diesen
Planungen eckte der Investor an. Ein geplantes Hochhaus würde das Segel-Schulschiff Deutschland verdecken, das in der
Lesummündung liegt, so der Einwand des
Schulschiff-Vereins. 2000 Bürger unterschrieben eine
Petition gegen das Hochhaus. Doch Bremen blieb hart, und ließ die Wünsche des Investors
unreguliert geschehen. Die Folge: Das Schulschiff legte im Herbst 2021 ab und liegt nun
in Bremerhaven, was die Bestrebungen,
Vegesack zu einem maritimen, touristischen Ort zu entwickeln, erneut über den Haufen wirft.
An diesen Beispielen wird deutlich:
Stadtentwicklung ist ein komplexes
Thema, viele Faktoren, etwa Umwelt, Bau,
Verkehr, Kultur, spielen eine Rolle, alles hängt mit allem zusammen und die Zivilgesellschaft will mitreden.
Der Architekt und Stadtentwickler Jan Gehl
wird dieser Komplexität gerecht, indem er und sein Team zunächst die
Gewohnheiten der Stadtbewohner untersucht und mit den Menschen redet in Bezug auf einen als problematisch empfundenen, zu entwickelnden städtischen Ort. Diese Interviews sind die Grundlage für
weitere Planungen.
Grundsätzlich sieht Gehl
Stadtplanung so: Erst überlegen, wie
das Leben an einem Ort später aussehen
soll, dann, wie die Stadträume dazu beschaffen sein sollten und am Ende ob und wie Gebäude errichtet werden sollten. Ihm geht es
um das „Leben zwischen den
Häusern“, so der Titel seiner
Doktorarbeit. Demokratische
Stadtentwicklung, die am Ende viele
zufriedenstellt. Christchurch, Neuseeland, wurde nach einem Erdbeben unter Gehls Beteiligung etwa so wiederaufgebaut, wie die Menschen es
wollten, sie gaben der Politik die maximalen Gebäudehöhen vor, was
der Bürgermeister mit Hilfe von Investoren umsetzte.
(Film „The Human Scale“)
Die allein von Investoren gesteuerte Stadtentwicklung ist dagegen
eine autoritäre, ignorante Stadtentwicklung, die mit Scheuklappen, nach der Devise „Augen zu und durch“, verwirklicht wird – wenn Politik sie, wie zurzeit in Bremen, ohne Wenn und
Aber lässt.
Die Folgen können verheerend sein und ungute
Entwicklungen in Gang setzen.
Investoren haben gerade nicht die Komplexität
von Stadtentwicklung im Blick und es sind auch nicht öffentliche
Interessen, die sie verfolgen. Wirtschaftlichkeit und Gewinnerzielung, die im Rahmen eines Fonds womöglich sogar an anderen Orten
als in Bremen stattfindet, sind die
Interessen.
Sollten Investoren also beim Städtebau von der
Bremer Politik engagiert werden, wenn
die Stadtgesellschaft darin
übereinstimmt, einen Ort zu bebauen, so ist es unerlässlich, dass die
Politik sich zusammen mit den Bürgern zuvor
einen genauen Rahmen für die Stadtentwicklung überlegt, in dessen Grenzen das Engagement der Investoren, am besten über einen Planungs-Wettbewerb, bei dem verschiedene Investoren einbezogen
werden,
dort stattfinden darf. Positives
Beispiel: Im benachbarten Schwanewede sagte die grüne Politikerin
Dörte Gedat
im Interview: „Frage: Was ist
Ihre Meinung: Sollte die Gemeinde Schwanewede
das ehemalige Kasernengelände kaufen
und entwickeln oder Investoren mit ins Boot nehmen und warum?
Dörte Gedat: Beides. Denn das eine schließt das andere nicht aus. Seit
vielen Jahren favorisiere ich
die Gründung einer
Entwicklungsgesellschaft. Die Gemeinde sollte die Mehrheitsanteile tragen und Investoren können eingebunden werden. Einzelne Bereiche sollten dann an Entwickler mit den besten Ideen vergeben werden. Die Übergabe an einen Großinvestor halte ich für falsch. Bezahlbarer Wohnraum für Jung und Alt,
Projekte aus der Bürgerbeteiligung oder
besonders nachhaltige Energiemodelle
werden sonst nicht entstehen können.
Das lehrt die Erfahrung aus anderen Kommunen.“
(Artikel „Zersiedelung muss vermieden
werden“, Die Norddeutsche vom
4.1.2020)
Zurück zur gegenwärtigen Stadtentwicklung in
Bremen. Anders als in den Stadtstaaten Hamburg und Berlin, wo mehrere Senatoren für die Themen Klimaschutz, Umwelt, Mobilitität(swende),
Stadtentwicklung, Wohnungsbau verantwortlich sind, ist es in Bremen,
wo der Bürgermeister im Gegensatz zu den anderen Stadtstaaten keine Richtlinienkompetenz hat, nur eine Senatorin, die alle diese Themen in einem Super-Ressort vereinigt. Im Sinne von „Alles hängt mit allem
zusammen, bei der Stadtentwicklung“ ist es gut,
wenn diese Themen in einer Hand liegen, könnte man meinen.
Aber in Bremen liegen die Dinge anders. Die
Regierung scheut einerseits offenbar Kosten für Stadtentwicklung, wo immer es nur möglich ist, und ist andererseits darum bemüht, die neuesten Begriffe von moderner Stadtentwicklung
aufzugreifen und fortwährend in
Verlautbarungen zu verwenden. Motto: Es darf
alles nichts kosten, muss aber modern, progressiv und seriös klingen.
Den beiden hier dargestellten
Stadtentwicklungsformen kann man gut
zwei verschiedene Entscheidungsmodelle
zuordnen:
Investorengesteuerte und
ideologisch-dogmatische Stadtentwicklung:
Im kleinen Kreis von Eingeweihten wird
entschieden, dann das Ergebnis verkündet, dann gegen kritische Stimmen verteidigt,
Modell DAD, Decide (Entscheiden)
– Announce (Verkünden) – Defend (Verteidigen).
Demokratische, den Bürgern zugewandte
Stadtentwicklung:
Es gilt zunächst, die Bürger zu
beteiligen und dabei viele
– auch verschiedene – Gesichtspunkte zusammenzubringen. In Beratungen wird dann ausgehandelt, was gemeinsam als möglich angesehen wird. Am Ende wird,
gestützt auf einen Konsens oder eine
deutliche Mehrheit, gemeinsam entschieden, Modell
EDD, Engage (Beteiligen) – Deliberate (Beraten) – Decide (Entscheiden).
(Die Modelle sind aus: Penny Walker: Dinosaur DAD and
enlightened EDD – engaging people earlier is better, The Environmentalist 2/2009; verwendet von
Prof. Dr. Klaus Selle, Unterm Schaufelbagger, in: Bürgerbeteiligung 3.0, München, 2011)
Die in Bremen zurzeit gelebte autoritäre DAD-Stadtentwicklung beim Thema Bauen findet
sich auch in anderen Bereichen wieder, etwa
beim Thema Verkehr. Denn einerseits verfolgt die Stadtentwicklungssenatorin eine bauliche Innenverdichtung, die dadurch zunehmende Verkehre für die Stadt insgesamt nach sich zieht.
Andererseits verfolgt sie etwa Konzepte, die eine Vielzahl von Autos aus bestehenden Quartieren entfernen, verlegen, quasi wegzaubern und die
Bürger im Zuge dieses „Bewohnerparkens“
nicht unerheblich zur Kasse bitten wollen.
Fragt man danach, wie Politik die Bürger
zurzeit in Bremen teilhaben lässt an Stadtentwicklung, der Veränderung und Entwicklung ihrer Lebensorte, so beginnt hier ein umfangreiches Kapitel, in dem zu berichten
ist:
• Von Beteiligungsangeboten, wie etwa gesetzlich vorgeschriebenen
Einwohnerversammlungen zu einem
Bebauungsplan, die aber nur pro
forma durchgeführt
werden. „Beteiligte“ kommen sich hier
mitunter wie Statisten vor, weil sie merken, dass bereits Beschlüsse gefasst wurden – Scheinbeteiligung.
• Von „Runden Tischen“, die in Wahrheit eckig sind, weil
nicht ernsthaft zugehört und nicht ergebnisoffen verhandelt wird. Hier wird
beschwichtigt und relativiert – aber auch gerne vorbei an den Bürgern geredet und
entschieden.
• Von einem „Informationsfreiheitsgesetz“, das aber dann, wenn die Bürger Informationen einfordern, nicht funktioniert, weil die Behörden die Herausgabe von bestimmten Informationen verweigern oder die Informationen unkenntlich
machen (schwärzen).
• Von einer „Bremer Erklärung zur Sicherung und Qualifizierung
der Baukultur in Bremen“, die
öffentliche Verfahren und Planungswettbewerbe bei Projekten von öffentlichem Interesse vorsieht. Doch bei der Sanierung einer
Neorenaissance-Villa im denkmalgeschützten Vegesacker Quartier Kapitäns- und Reederhäuser, die Investoren erworben haben,
tagte man ohne Wettbewerb lieber im
Geheimen – und beschloss den Teilabriss der
denkmalgeschützten Villa. Faktisch hält man
sich also nicht an diese Erklärung.
• Von einem Parlamentsausschuss für „Bürgerbeteiligung,
bürgerschaftliches Engagement und
Beiräte“, der aber bürgerschaftliches
Engagement eher ausbremst, als es zu
stärken und ihm zum Durchbruch zu verhelfen – ein Alibi-Ausschuss.
• Von einem 2018 vorgelegten senatorischen
„Leitbild Bürgerbeteiligung“, das aber
schwammige Beteiligungskriterien formuliert
und die jeweilige Entscheidung ob und wie zu beteiligen ist, Investoren, Fachvertretern oder Bürgerschaftsbeschlüssen überlässt. Bürgerbeteiligung wird damit zum Spielfeld von Investoren und
Ressortvertretern. Eine systematische Einbeziehung der Zivilgesellschaft in
einen „Trialog“ mit Politik und
Verwaltung, wie er in anderen Städten praktiziert wird, erhielt eine Absage.
Fazit: Nach den rot-grünen Überlegungen von 2012 „Konzepte für mehr Bürgerbeteiligung“ zu entwickeln und dem formulierten Ziel „Vorreiter in
Bürgerbeteiligung“ werden zu wollen, kann die Antwort nur lauten: Das ist nicht gelungen.
Das Engagement der Bürger, bei der Entwicklung
ihrer Stadt mitzuwirken, ist in
Bremen vorhanden. Fachleute benennen
das Ziel, dass Politik mit den Bürgern Veränderungen und Entwicklungen aushandelt, wodurch bessere Lösungen entstehen, die auch besser
akzeptiert werden. Andere Städte sind da
weiter als Bremen. Aber die bremische Politik tritt beim Dialog mit den Bürgern und der
Bürgerbeteiligung auf der Stelle.
Verbreitet werden schön klingende Papiere und Ideen –
die aber nicht täglich in der Praxis gelebt werden. Unsere Positionen sind
daher:
1. Stadtentwicklung ist heute kein Orchideenthema
(Nischenthema) für wenige, sondern ein Demokratiethema für viele, ein Thema, von dem alle Stadtbewohner betroffen sind.
2. Stadtentwicklung und Veränderungen müssen
zwischen Politik und Bürgern ehrlich
und offen ausgehandelt werden.
3. Eine frühzeitige, echte Bürgerbeteiligung,
die diesen Namen verdient, bringt viele Vorteile
mit sich:
- es werden Alternativen sichtbar, auf die man ohne
Beteiligung nicht gekommen wäre
- die Entscheidungen werden besser
- es entsteht ein Nutzen, der allen Beteiligten
zugutekommt
- die Entscheidungen werden besser legitimiert, auch eher
akzeptiert von der
Bevölkerung
(Der Soziologe Niklas Luhmann prägte das Wort
„Demokratie legitimiert sich durch Verfahren“.)
4. Die positiven Effekte einer echten Beteiligungskultur (siehe
3.) werden sich nicht nur auf die
Stadtgesellschaft, sondern auch insgesamt positiv auf die Stadt Bremen auswirken, etwa
in ökonomischer Hinsicht.
5. Es müssen offene Stadtentwicklungsdebatten
über die Nutzung eines Ortes (etwa:
Park, Grünfläche oder Wohnbau)
stattfinden, bevor etwas entschieden wird.
6. Das Modell DAD ist bei
Stadtentwicklungsdebatten zu ersetzen durch das Modell EDD.
7. Sollte die Stadtgesellschaft einer Bebauung
zustimmen, so muss mit der
Stadtgesellschaft ein Rahmen
ausgehandelt werden, erst danach können Investoren angesprochen werden.
8. Systematische Bürgerbeteiligung muss in
Bremen vom Fleck kommen, es muss spürbar werden, dass Bürgerbeteiligung gewollt und nicht ausgebremst wird oder man sich in Details verzettelt. Andere Städte sind weiter und es gibt viele gute Beispiele für kooperative Stadtentwicklung, etwa Leipzig.
9. Gesetze und Erklärungen dürfen nicht dazu
verkommen, dass Politik sie „ins Schaufenster“ stellt, um der
Öffentlichkeit (und sich selbst) Modernität und Fortschrittlichkeit vorzugaukeln. Gesetze wie das Informationsfreiheitsgesetz müssen umgesetzt werden, Erklärungen wie die „Bremer Erklärung zur Sicherung und
Qualifizierung der Baukultur“ müssen
beachtet und dürfen nicht ignoriert
werden.
10. Der Parlamentsausschuss für
Bürgerbeteiligung muss offen werden für eine demokratische Stadtentwicklung, die Transparenz und Bürgerbeteiligung praktiziert.
11. Die Art und Weise, den Bürgern ohne
Diskussion beschlossene
Bau- und Verkehrsprojekte vorzusetzen (Am Wall, Martinistraße,
Hochhaus im Viertel), mitunter gegen große Unterschriftensammlungen und substanziierte Einwendungen, muss aufhören. Das ist keine moderne, kooperative, sondern eine konfrontative
Politik, die sich von
Kompromissen und Konsensen
verabschiedet hat. Dem Frieden und der Demokratie in der Stadtgemeinde Bremen ist diese Konfrontationspolitik nicht dienlich. Es
muss auch endlich Schluss damit sein,
den Bürgern seitens der Politik per se Eigensinn und Egoismus zu unterstellen und sie
zu diffamieren („Partikularinteressenten“,
„Autofetischisten“, „Bremsklötze“).
12. „Bürgerbeteiligung fängt im Kopf der Entscheider an. Diese
müssen zu der Einsicht gelangen, dass
sich die Herausforderungen in ihren
jeweiligen Fach- und Verantwortungsbereichen besser beteiligungsorientiert
gestalten lassen.
Sie müssen überzeugt werden, dass
Bürgerbeteiligung trotz aller damit verbundenen Herausforderungen ein produktiver Prozess ist, dass durch Beteiligung ein Nutzen entstehen kann, der allen Beteiligten zugute
kommt.“ (Prof. Dr. Roland
Roth)
Wir sprechen uns für Diskussionsrunden Bürger/Politik
aus – insbesondere unter Teilnahme der Stadtentwicklungssenatorin.
Wir erwarten, dass sich die zuständige
Senatorin wie auch der gesamte Senat
dieser Einsicht und den daraus folgenden
Konsequenzen nicht länger verschließen.
Unterzeichnet:
Bürgerinitiativen