Grundsatzerklärung Bremer Bürgerinitiativen zur Stadtentwicklung in Bremen, Rückblicke, Analysen, Positionen

Bremen, den 02.11.2021

In Bremen reden Bürger und Bürgerinitiativen bei der Entwicklung ihrer Stadt gerne mit.
Das hat eine lange Tradition. Einige Beispiele:

1865 versammelten sich wohlhabende Bürger in einer der ersten Bürgerinitiativen, dem „Comité zur Bewaldung der Bürgerweide“, um eine vorher ländlich bewirtschaftete Fläche in einen Park umzunutzen. Aus diesem Engagement entstand der Bürgerpark, heute eine der schönsten und bedeutendsten Bremer Parkanlagen,
die niemand mehr missen möchte.


In den 1950er Jahren setzten sich engagierte Bürger gegen den von Richard Boljahn geplanten Abriss des Schnoor-Viertels und den Bau eines Hochhauses erfolgreich zur Wehr. Heute ist der Schnoor ein beliebter historischer Ort, für Touristen wie für Stadtbewohner.


Anfang der 1970er Jahre wurde ein gigantisches Projekt, das den Abriss des beliebten Ostertor-Viertels im Zuge der „autogerechten Stadt“ vorsah, nach Bürgerprotesten gestoppt.
Heute ist das „Viertel“ ein beliebter Bremer Wohnort.

Bürgerlichen Engagements und Protesten wie diesen hat Bremen es zu verdanken, dass stadtplanerische Fehler nicht begangen wurden und bremische Identität geschaffen oder erhalten blieb.


Nach wie vor wollen engagierte Bürger und Bürgerinitiativen an vielen Orten Bremens bei der Entwicklung ihres Lebensraumes heute mitreden, in ihrer Straße, ihrem Stadtteil, ihrer Stadt. Die Themen sind dabei vielfältig: Es geht etwa um den Umgang mit Verkehr, die
Bedeutung und den Erhalt der Natur in der Stadt, die Frage, wie ein Ort genutzt werden sollte und die Überlegung, ob und wie an einem Ort gebaut werden soll.


Aber bei der Politik finden die Bürger mit ihren Engagements in Bremen heute kaum noch Gehör, auch dann nicht, wenn sie Tausende von Unterschriften für oder gegen eine stadtplanerische Idee vorlegen und gut begründete Argumente vortragen.
Es macht sich das Gefühl breit: Man dringt nicht mehr durch.

Dabei sind Fachleute sich einig, dass Veränderungen und Entwicklungen heute nicht mehr von oben herab nach Gutsherren- oder Gutsdamenart geschehen dürfen:


"Stadtplanung war vielleicht bis vor wenigen Jahren noch so ein Nischenthema.
Aber heute ist der Umgang mit Verkehr, die Höhe von Gebäuden oder die Quote für bezahlbare Wohnungen, das sind so richtig virulente Themen in der Stadtentwicklung und die gehen uns alle was an und da sagen auch alle was dazu. Und da geht es nicht darum, das ist der richtige oder der falsche Weg, sondern, wir müssen eigentlich da hinkommen, dass wir Veränderungen aushandeln müssen.“ (Prof. Klaus Overmeyer am 4.7.2021 im Deutschlandfunk, Sendung Kulturfragen).

„Mein Eindruck ist, dass wir den Zeitpunkt schon fast verpasst haben, angesichts der Erosionsprozesse des klassischen, politischen Vermittlungssystems zeitgemäße Alternativen zu entwickeln. Alternativen, die offen sind für individuelle Beteiligungsformen, die in
Rechnung stellen, dass wesentliche Sachthemen immer wieder neu mit den Bürger/innen verhandelt werden müssen und nicht vorab von Experten oder Gremien festgelegt werden können. Eingriffe in die Alltagswelt der Bürgerinnen und Bürger lassen sich nicht mehr einfach verordnen oder durch Gesetz befehlen. Wir müssen Abschied nehmen von der
Basta-Politik, die immer noch die politische Kultur beherrscht. Es ist eine produktive Reform der Mitwirkung angesagt. [...] Zunächst einmal: Bürgerbeteiligung fängt im Kopf der Entscheider an. Diese müssen zu der Einsicht gelangen, dass sich die Herausforderungen in ihren jeweiligen Fach- und Verantwortungsbereichen besser beteiligungsorientiert gestalten lassen. Sie müssen überzeugt werden, dass Bürgerbeteiligung trotz aller damit verbundenen Herausforderungen ein produktiver Prozess ist, dass durch Beteiligung ein Nutzen entstehen kann, der allen
Beteiligten zugute kommt.
Das zentrale Argument für diesen Sinneswandel wäre: durch ein Mehr an Bürgerbeteiligung werden die zu treffenden Entscheidungen besser, auch besser legitimiert und von der Bevölkerung eher akzeptiert. Und nicht zuletzt machen Beteiligungsverfahren häufig Alternativen sichtbar, auf die man ohne Beteiligung nicht gekommen wäre.“ (Prof. Dr. Roland Roth, Zeitschrift mitarbeiten 03/2012).

Stadtentwicklung ist heutzutage also kein Orchideenthema („Nischenthema“) für wenige, sondern ein Demokratiethema für viele. Bei diesem Thema können Bürgerbeteiligung und Einflussnahme auf Entscheidungen gelebt werden, was am Ende der Stadtgesellschaft und der Stadt zugutekommt.
Dafür gibt es gute Beispiele in Deutschland, etwa die Entwicklung des Quartiers Halle-Freiimfelde, die von Politik, Behörde und Bürgern gemeinsam umgesetzt wurde.
(Ausgezeichnet für „vorbildliche Bürgerbeteiligung“ durch das Bundesumweltministerium am 21.11.2018.)


Doch in Bremen läuft es zurzeit anders.


Es regieren ein unregulierter, investorengesteuerter Städtebau und das damit verbundene Konzept der quantitativen Innenverdichtung. Dazu wird von der bremischen Politik viel von bezahlbarem Wohnraum geredet, der unbedingt geschaffen werden müsse doch
geschaffen wird überwiegend hochpreisiger Wohnraum, offenbar, weil man betuchte Steuerzahler und Kaufkraft im finanzschwachen Bremen ansiedeln möchte.
(Johannes Edelhoff und Christian Salewski, Wohnungsnot: Rettung durch Großinvestoren? ARD-Panorama-Beitrag vom 23.06.2016, wonach in Bremen nur jede 12. neugebaute Wohnung bezahlbar ist.)

Die amtierende Politik hält nach unseren Erfahrungen jede Fläche für bebaubar auch wenn diese an Erholungsgebieten wie dem Knoops Park oder dem Werdersee liegen, oder einen Naturwald an einem Kleingartengebiet darstellen.
Alles erscheint bebaubar. Und kaum einmal wird diese einseitige Politik gestoppt, wie etwa durch den gewonnenen Volksentscheid, die Rennbahn nicht zu bebauen.

Städtische Orte haben ihre Nutzungsgeschichte. Und so müsste eine Stadtentwicklung, die diesen Namen verdient, danach fragen:


Welche Geschichte hat dieser Ort, welche Entwicklung hat er durchgemacht,
was geschah hier?
Wie ist es jetzt, in welchem Zustand befindet er sich?

In welche Richtungen können wir ihn entwickeln?

Was brauchen wir hier in 20, 30 oder 50 Jahren?


Aber diese wichtigen Fragen, die einen wesentlichen Teil von Stadtentwicklung ausmachen, werden nicht gestellt. Es herrscht das ideologische Dogma der Innenverdichtung, das quasi als alternativlos dargestellt wird. Doch das ist gerade keine Stadtentwicklung.


Beispiel: Der Bahnhofsvorplatz war ein öffentlicher Ort, der täglich von Zehntausenden von Menschen genutzt wurde. Diesen Ort vor dem schönen Bremer Bahnhofsgebäude, Bremens
größtem Bau-Denkmal, hätte eine Bürgerinitiative gerne als öffentlichen Platz genutzt, auf dem es Bänke, Rasenflächen und einen Springbrunnen gibt. Doch zu einer Debatte über die Nutzung dieses Ortes kam es nicht, weil eine politische Mehrheit dort von Anfang an unbedingt Gebäude errichten wollte. Einer der größten öffentlichen Plätze Bremens bekam in Politiker-Kreisen den Namen „Investorengrundstück“.

Und als Bremens Bürgerschaftspräsident Christian Weber am 24.02.2014 vielsagend den ehemaligen Senatsbaudirektor Eberhard Kulenkampff zitierte, „Ein Platz ist ein Platz“, verhallten diese Worte.

7000 Unterschriften, über 200 Leserbriefe, 2 Petitionen mit je über 800 Mitzeichnern blieben unbeachtet, sogar dann noch, als Bremen sich die Möglichkeit zum Rückkauf des Platzes bot. Eine Nutzungsdebatte entstand nicht.


Claudia Bernhard (Die Linke) warf am 25.02.2014 der rot-grünen Koalition in der Stadtbürgerschaft vor, insbesondere den Grünen, eine „Betonpolitik“, einen „totalen Verdichtungsfetischismus“ zu verfolgen und setzte sich für eine andere Wahrnehmung des
Bahnhofsvorplatzes als „identitätsbildende Stätte“ ein.
Doch der baupolitische Sprecher der Grünen, Carsten Werner, fragte nur mit viel Hohn:

„Was schwebt Ihnen vor? Ich verstehe es wirklich nicht. Sollen da Kleingärten angelegt werden, oder wünschen Sie sich da einen Wald oder Kaisenhäuser?
(Plenarprotokoll der Stadtbürgerschaft vom 25.02.2014, Seiten 1770, 1771 und 1776)

Für solche indiskutablen und peinlichen Beiträge zur Stadtentwicklung, die eine Nicht-Bereitschaft, sich über einen der größten Plätze Bremens Gedanken zu machen, erkennen lassen, aber auch eine Nicht-Verantwortlichkeit, kann man sich nur wundern. Der Abgeordnete Werner müsste sich schämen, für ihn kann man sich nur fremdschämen.


Was sagen Fachleute zum investorengesteuerten Städtebau? Einer der bekanntesten, der Architekt Jan Gehl, der etwa Städte wie Kopenhagen, Melbourne, Barcelona, Christchurch (Neuseeland) und den Times Square in New York weiterentwickelte, sagte in einem
Interview dieses:


„Frage: Es gibt aber auch Städte, die privaten Investoren das Feld überlassen ...


Jan Gehl: Es ist extrem wichtig, dass es eine starke Stadtverwaltung gibt, die genau weiß, wo sie hinwill und privaten Investoren klare Vorgaben macht, was geht und was nicht geht, wo Unterstützung erwünscht ist und in welchem Rahmen. Wenn wir Städte komplett dem freien Markt überlassen, würden sie sich ziemlich schnell in riesige Shopping-Malls verwandeln.“
(fluter Nr. 56, Herbst 2015, Thema Stadt, Magazin der Bundeszentrale für politische Bildung)

Und genau das ist am Bahnhofsplatz geschehen: Der Platz wurde in einen mehrgeschossigen „Konsumtempel“ verwandelt, und erzeugt mit Bremens größter Bus- und Straßenbahnhaltestelle eine drangvolle Enge. Dabei ist der moderne Neubau bedenklich nahe in den Wirkungsraum des denkmalgeschützten Bahnhofsgebäudes eingedrungen.


Bremens Ehrenbürger Klaus Hübotter nannte die Entscheidung für den Neubau vor dem Bahnhof eine „städtebauliche Totalkatastrohe“, er habe nichts gegen die Architektur Max Dudlers. Hübotter weiter: „Aber dieses Gebäude gehört nicht vor den Bahnhof. Der Platz darf
nicht bebaut werden. Der Bahnhof ist eines der eindrucksvollsten Denkmäler Bremens und nun soll ein kolossaler Briefbeschwerer die Sicht auf ihn zerstören.“
(Weser Kurier, 20.09.2014, „Eine städtebauliche Totalkatastrophe“.)

Ein anderer Konsumtempel, das Vegesacker Einkaufszentrum Haven Höövt, wurde ebenfalls gegen massiven Protest von Bürgern und Geschäfteinhabern errichtet. 6000 Unterschriften
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legte eine Bürgerinitiative Ende der 1990er Jahre gegen die Planungen vor, darunter 600 Unterschriften aus der Kaufmannschaft. Dazu präsentierte eine BI eigene Planungen, die an Deutschlands ältestem künstlich errichteten Hafen (um 1600 fertiggestellt) und der
Geschichte der Grönlandfahrer (Walfänger) ein maritimes Fischerdörfchen mit Gewerbe und Kultur direkt am Wasser vorsahen.


Auch diese Entwicklung war ein Fehler. Am Ende waren es zu wenig Kunden, die das Einkaufszentrum besuchten, die Vegesacker Fußgängerzone verzeichnete Leerstände.
Das 2003 gebaute Einkaufszentrum wurde schließlich im Frühjahr 2021 abgerissen, was
zusammen mit seinem Bau einen gewaltigen CO2-Fußabdruck bedeutet.


Nun soll dort Wohnungsbau errichtet werden. Allerdings wird diese Planung erneut von einem Investor betrieben. Er bot Bremen dort eine hochverdichtete Wohnbebauung an, zusammen mit einem Polizeirevier, das Bremen zu einem günstigen Preis dort betreiben
kann, Bremen stimmte zu. Doch mit diesen Planungen eckte der Investor an.
Ein geplantes Hochhaus würde das Segel-Schulschiff Deutschland verdecken, das in der Lesummündung liegt, so der Einwand des Schulschiff-Vereins. 2000 Bürger unterschrieben eine Petition gegen das Hochhaus. Doch Bremen blieb hart, und ließ die Wünsche des Investors unreguliert geschehen. Die Folge: Das Schulschiff legte im Herbst 2021 ab und liegt nun in Bremerhaven, was die Bestrebungen, Vegesack zu einem maritimen, touristischen Ort zu entwickeln, erneut über den Haufen wirft.

An diesen Beispielen wird deutlich: Stadtentwicklung ist ein komplexes Thema, viele Faktoren, etwa Umwelt, Bau, Verkehr, Kultur, spielen eine Rolle, alles hängt mit allem zusammen und die Zivilgesellschaft will mitreden.


Der Architekt und Stadtentwickler Jan Gehl wird dieser Komplexität gerecht, indem er und sein Team zunächst die Gewohnheiten der Stadtbewohner untersucht und mit den Menschen redet in Bezug auf einen als problematisch empfundenen, zu entwickelnden städtischen Ort. Diese Interviews sind die Grundlage für weitere Planungen.

Grundsätzlich sieht Gehl Stadtplanung so: Erst überlegen, wie das Leben an einem Ort später aussehen soll, dann, wie die Stadträume dazu beschaffen sein sollten und am Ende ob und wie Gebäude errichtet werden sollten. Ihm geht es um das „Leben zwischen den
Häusern“, so der Titel seiner Doktorarbeit. Demokratische Stadtentwicklung, die am Ende viele zufriedenstellt. Christchurch, Neuseeland, wurde nach einem Erdbeben unter Gehls Beteiligung etwa so wiederaufgebaut, wie die Menschen es wollten, sie gaben der Politik die maximalen Gebäudehöhen vor, was der Bürgermeister mit Hilfe von Investoren umsetzte.

(Film „The Human Scale“)


Die allein von Investoren gesteuerte Stadtentwicklung ist dagegen eine autoritäre, ignorante Stadtentwicklung, die mit Scheuklappen, nach der Devise „Augen zu und durch“, verwirklicht wird wenn Politik sie, wie zurzeit in Bremen, ohne Wenn und Aber lässt.

Die Folgen können verheerend sein und ungute Entwicklungen in Gang setzen.


Investoren haben gerade nicht die Komplexität von Stadtentwicklung im Blick und es sind auch nicht öffentliche Interessen, die sie verfolgen. Wirtschaftlichkeit und Gewinnerzielung, die im Rahmen eines Fonds womöglich sogar an anderen Orten als in Bremen stattfindet, sind die Interessen.


Sollten Investoren also beim Städtebau von der Bremer Politik engagiert werden, wenn die Stadtgesellschaft darin übereinstimmt, einen Ort zu bebauen, so ist es unerlässlich, dass die
Politik sich zusammen mit den Bürgern zuvor einen genauen Rahmen für die Stadtentwicklung überlegt, in dessen Grenzen das Engagement der Investoren, am besten über einen Planungs-Wettbewerb, bei dem verschiedene Investoren einbezogen werden,
dort stattfinden darf.
Positives Beispiel: Im benachbarten Schwanewede sagte die grüne Politikerin Dörte Gedat
im Interview:
„Frage: Was ist Ihre Meinung: Sollte die Gemeinde Schwanewede das ehemalige Kasernengelände kaufen und entwickeln oder Investoren mit ins Boot nehmen und warum?

Dörte Gedat: Beides. Denn das eine schließt das andere nicht aus. Seit vielen Jahren favorisiere ich die Gründung einer Entwicklungsgesellschaft. Die Gemeinde sollte die Mehrheitsanteile tragen und Investoren können eingebunden werden. Einzelne Bereiche sollten dann an Entwickler mit den besten Ideen vergeben werden. Die Übergabe an einen Großinvestor halte ich für falsch. Bezahlbarer Wohnraum für Jung und Alt, Projekte aus der Bürgerbeteiligung oder besonders nachhaltige Energiemodelle werden sonst nicht entstehen können. Das lehrt die Erfahrung aus anderen Kommunen.
(Artikel „Zersiedelung muss vermieden werden“, Die Norddeutsche vom 4.1.2020)

Zurück zur gegenwärtigen Stadtentwicklung in Bremen.
Anders als in den Stadtstaaten Hamburg und Berlin, wo mehrere Senatoren für die Themen Klimaschutz, Umwelt, Mobilitität(swende), Stadtentwicklung, Wohnungsbau verantwortlich sind, ist es in Bremen, wo der Bürgermeister im Gegensatz zu den anderen Stadtstaaten keine Richtlinienkompetenz hat, nur eine Senatorin, die alle diese Themen in einem Super-Ressort vereinigt. Im Sinne von „Alles hängt mit allem zusammen, bei der Stadtentwicklung“ ist es gut, wenn diese Themen in einer Hand liegen, könnte man meinen.

Aber in Bremen liegen die Dinge anders. Die Regierung scheut einerseits offenbar Kosten für Stadtentwicklung, wo immer es nur möglich ist, und ist andererseits darum bemüht, die neuesten Begriffe von moderner Stadtentwicklung aufzugreifen und fortwährend in
Verlautbarungen zu verwenden. Motto: Es darf alles nichts kosten, muss aber modern, progressiv und seriös klingen.


Den beiden hier dargestellten Stadtentwicklungsformen kann man gut zwei verschiedene Entscheidungsmodelle zuordnen:


Investorengesteuerte und ideologisch-dogmatische Stadtentwicklung:

Im kleinen Kreis von Eingeweihten wird entschieden, dann das Ergebnis verkündet, dann gegen kritische Stimmen verteidigt,

Modell DAD, Decide (Entscheiden) Announce (Verkünden) Defend (Verteidigen).


Demokratische, den Bürgern zugewandte Stadtentwicklung:

Es gilt zunächst, die Bürger zu beteiligen und dabei viele auch verschiedene Gesichtspunkte zusammenzubringen. In Beratungen wird dann ausgehandelt, was gemeinsam als möglich angesehen wird. Am Ende wird, gestützt auf einen Konsens oder eine deutliche Mehrheit, gemeinsam entschieden,
Modell EDD, Engage (Beteiligen) Deliberate (Beraten) Decide (Entscheiden).

(Die Modelle sind aus: Penny Walker: Dinosaur DAD and enlightened EDD engaging people earlier is better, The Environmentalist 2/2009; verwendet von Prof. Dr. Klaus Selle, Unterm Schaufelbagger, in: Bürgerbeteiligung 3.0, München, 2011)


Die in Bremen zurzeit gelebte autoritäre DAD-Stadtentwicklung beim Thema Bauen findet sich auch in anderen Bereichen wieder, etwa beim Thema Verkehr. Denn einerseits verfolgt die Stadtentwicklungssenatorin eine bauliche Innenverdichtung, die dadurch zunehmende Verkehre für die Stadt insgesamt nach sich zieht.
Andererseits verfolgt sie etwa Konzepte, die eine Vielzahl von Autos aus bestehenden Quartieren entfernen, verlegen, quasi wegzaubern und die Bürger im Zuge dieses „Bewohnerparkens“ nicht unerheblich zur Kasse bitten wollen.

Fragt man danach, wie Politik die Bürger zurzeit in Bremen teilhaben lässt an Stadtentwicklung, der Veränderung und Entwicklung ihrer Lebensorte, so beginnt hier ein umfangreiches Kapitel, in dem zu berichten ist:


Von Beteiligungsangeboten, wie etwa gesetzlich vorgeschriebenen
Einwohnerversammlungen zu einem Bebauungsplan, die aber nur pro forma durchgeführt werden. „Beteiligte“ kommen sich hier mitunter wie Statisten vor, weil sie merken, dass bereits Beschlüsse gefasst wurden Scheinbeteiligung.


Von „Runden Tischen“, die in Wahrheit eckig sind, weil nicht ernsthaft zugehört und nicht ergebnisoffen verhandelt wird. Hier wird beschwichtigt und relativiert aber auch gerne vorbei an den Bürgern geredet und entschieden.


Von einem Informationsfreiheitsgesetz, das aber dann, wenn die Bürger Informationen einfordern, nicht funktioniert, weil die Behörden die Herausgabe von bestimmten Informationen verweigern oder die Informationen unkenntlich machen (schwärzen).


Von einer „Bremer Erklärung zur Sicherung und Qualifizierung der Baukultur in Bremen“, die öffentliche Verfahren und Planungswettbewerbe bei Projekten von öffentlichem Interesse vorsieht.
Doch bei der Sanierung einer Neorenaissance-Villa im denkmalgeschützten Vegesacker Quartier Kapitäns- und Reederhäuser, die Investoren erworben haben, tagte man ohne Wettbewerb lieber im Geheimen und beschloss den Teilabriss der
denkmalgeschützten Villa. Faktisch hält man sich also nicht an diese Erklärung.


Von einem Parlamentsausschuss für „Bürgerbeteiligung, bürgerschaftliches Engagement und Beiräte“, der aber bürgerschaftliches Engagement eher ausbremst, als es zu stärken und ihm zum Durchbruch zu verhelfen ein Alibi-Ausschuss.


Von einem 2018 vorgelegten senatorischen „Leitbild Bürgerbeteiligung“, das aber schwammige Beteiligungskriterien formuliert und die jeweilige Entscheidung ob und wie zu beteiligen ist, Investoren, Fachvertretern oder Bürgerschaftsbeschlüssen überlässt. Bürgerbeteiligung wird damit zum Spielfeld von Investoren und
Ressortvertretern. Eine systematische Einbeziehung der Zivilgesellschaft in einen „Trialog“ mit Politik und Verwaltung, wie er in anderen Städten praktiziert wird, erhielt eine Absage.


Fazit: Nach den rot-grünen Überlegungen von 2012 „Konzepte für mehr Bürgerbeteiligung“ zu entwickeln und dem formulierten Ziel „Vorreiter in Bürgerbeteiligung“ werden zu wollen, kann die Antwort nur lauten: Das ist nicht gelungen.


Das Engagement der Bürger, bei der Entwicklung ihrer Stadt mitzuwirken, ist in Bremen vorhanden. Fachleute benennen das Ziel, dass Politik mit den Bürgern Veränderungen und Entwicklungen aushandelt, wodurch bessere Lösungen entstehen, die auch besser
akzeptiert werden. Andere Städte sind da weiter als Bremen.
Aber die bremische Politik tritt beim Dialog mit den Bürgern und der Bürgerbeteiligung auf der Stelle. Verbreitet werden schön klingende Papiere und Ideen die aber nicht täglich in der Praxis gelebt werden. Unsere Positionen sind daher:

1. Stadtentwicklung ist heute kein Orchideenthema (Nischenthema) für wenige, sondern ein Demokratiethema für viele, ein Thema, von dem alle Stadtbewohner betroffen sind.


2. Stadtentwicklung und Veränderungen müssen zwischen Politik und Bürgern ehrlich und offen ausgehandelt werden.


3. Eine frühzeitige, echte Bürgerbeteiligung, die diesen Namen verdient, bringt viele Vorteile
mit sich:

- es werden Alternativen sichtbar, auf die man ohne Beteiligung nicht gekommen wäre

- die Entscheidungen werden besser

- es entsteht ein Nutzen, der allen Beteiligten zugutekommt

- die Entscheidungen werden besser legitimiert, auch eher akzeptiert von der Bevölkerung

(Der Soziologe Niklas Luhmann prägte das Wort „Demokratie legitimiert sich durch Verfahren“.)


4. Die positiven Effekte einer echten Beteiligungskultur (siehe 3.) werden sich nicht nur auf die Stadtgesellschaft, sondern auch insgesamt positiv auf die Stadt Bremen auswirken, etwa
in ökonomischer Hinsicht.


5. Es müssen offene Stadtentwicklungsdebatten über die Nutzung eines Ortes (etwa: Park, Grünfläche oder Wohnbau) stattfinden, bevor etwas entschieden wird.


6. Das Modell DAD ist bei Stadtentwicklungsdebatten zu ersetzen durch das Modell EDD.


7. Sollte die Stadtgesellschaft einer Bebauung zustimmen, so muss mit der Stadtgesellschaft ein Rahmen ausgehandelt werden, erst danach können Investoren angesprochen werden.


8. Systematische Bürgerbeteiligung muss in Bremen vom Fleck kommen, es muss spürbar werden, dass Bürgerbeteiligung gewollt und nicht ausgebremst wird oder man sich in Details verzettelt. Andere Städte sind weiter und es gibt viele gute Beispiele für kooperative Stadtentwicklung, etwa Leipzig.


9. Gesetze und Erklärungen dürfen nicht dazu verkommen, dass Politik sie „ins Schaufenster“ stellt, um der Öffentlichkeit (und sich selbst) Modernität und Fortschrittlichkeit vorzugaukeln. Gesetze wie das Informationsfreiheitsgesetz müssen umgesetzt werden, Erklärungen wie die „Bremer Erklärung zur Sicherung und Qualifizierung der Baukultur“ müssen beachtet und dürfen nicht ignoriert werden.


10. Der Parlamentsausschuss für Bürgerbeteiligung muss offen werden für eine demokratische Stadtentwicklung, die Transparenz und Bürgerbeteiligung praktiziert.


11. Die Art und Weise, den Bürgern ohne Diskussion beschlossene Bau- und Verkehrsprojekte vorzusetzen (Am Wall, Martinistraße, Hochhaus im Viertel), mitunter gegen große Unterschriftensammlungen und substanziierte Einwendungen, muss aufhören. Das ist keine moderne, kooperative, sondern eine konfrontative Politik, die sich von Kompromissen und Konsensen verabschiedet hat. Dem Frieden und der Demokratie in der Stadtgemeinde Bremen ist diese Konfrontationspolitik nicht dienlich. Es muss auch endlich Schluss damit sein, den Bürgern seitens der Politik per se Eigensinn und Egoismus zu unterstellen und sie
zu diffamieren („Partikularinteressenten“, „Autofetischisten“, „Bremsklötze“).


12. „Bürgerbeteiligung fängt im Kopf der Entscheider an. Diese müssen zu der Einsicht gelangen, dass sich die Herausforderungen in ihren jeweiligen Fach- und Verantwortungsbereichen besser beteiligungsorientiert gestalten lassen.

Sie müssen überzeugt werden, dass Bürgerbeteiligung trotz aller damit verbundenen Herausforderungen ein produktiver Prozess ist, dass durch Beteiligung ein Nutzen entstehen kann, der allen Beteiligten zugute kommt.“ (Prof. Dr. Roland Roth)

 

Wir sprechen uns für Diskussionsrunden Bürger/Politik aus insbesondere unter Teilnahme der Stadtentwicklungssenatorin.
Wir erwarten, dass sich die zuständige Senatorin wie auch der gesamte Senat dieser Einsicht und den daraus folgenden Konsequenzen nicht länger verschließen.


Unterzeichnet: Bürgerinitiativen